Davos oder die fragile Magie der Siege
Es gibt Phasen, in denen einfach alles zu gelingen scheint – oder es zumindest so wirkt. Der HCD gewinnt Spiel um Spiel: inzwischen 18 Siege in 19 Partien. Selbst die bisher einzige Niederlage – nach Penaltys gegen die Lakers – brachte noch einen Punkt.
Pucks springen in die richtige Richtung, abgefälschte Schüsse finden die kleinste Lücke, und der Goalie fängt im richtigen Moment Scheiben, die eigentlich schon drin waren. Manchmal wirkt es, als hätte das Glück beschlossen, in den Bündner Bergen zu überwintern. «Puck Luck» sagen die Kanadier. Aber es ist nicht nur reines Glück. Dahinter stehen harte Arbeit, Mut, Talent, Instinkt und Intelligenz.
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Doch die Magie der Siege bleibt zerbrechlich. Sie ist weder zwingend noch selbstverständlich. Kein Besitz. Kein Dauerzustand. Und es spricht für die Davoser, dass sie das wissen.
Magie der leichten Siege?
Geschäftsführer Marc Gianola verteidigte beim HCD von 1993 bis 2010 und war in den letzten sechs Jahren seiner Karriere Captain unter Arno Del Curto. Er sagt, eine solche Dominanz wie jetzt habe er als Spieler nie erlebt. Aber er differenziert: «Wir dominierten damals Spiele. Aber eine vergleichbare Sieges-Serie gelang uns nie.» Die Magie der leichten Siege gab es eigentlich nie. Im Frühjahr 2009 musste der HCD auf dem Weg zum Titel beispielsweise in den Playoffs die maximale Distanz von 21 Partien durchstehen und acht waren nach 60 Minuten noch nicht entschieden.
Marc Gianola sucht nach einer Erklärung für diesen goldenen Herbst: «Im Mosaik des perfekten Teams fehlen nur wenige Teile.» Alles passe – jeder kämpfe für jeden, die Ausländer sind in Bestform, Matej Stransky ist der beste und charismatischste Stürmer der Liga (19 Spiele/15 Tore/26 Punkte) und auch die Torhüter erfüllen ihre Aufgabe mit Bravour.
Josh Holden hat seine dritte Saison in Davos begonnen. Der eingebürgerte Kanadier, einst als Spieler ein leidenschaftlicher Leitwolf mit kurzer Zündschnur, bringt Emotionen ins Spiel – doch er kontrolliert sie. Die grossen Bandengeneräle steuern das Feuer. Sie werden nicht von ihnen verzehrt.Zwei Szenen zeigen, wie Josh Holden wirkt:
Am 31. Dezember 2023 spielt der HCD im Spengler-Cup-Final gegen Pardubice. Nach seinem letzten Einsatz im Startdrittel – trotz 1:0-Führung – stürmt er auf der Bank zu Tomas Jurco, packt ihn am Leibchenkragen, zieht ihn nach hinten und schreit ihn an: „Bleib aktiv, bleib aktiv! Das ist alles, was ich von dir verlange!“
Jurco, der Davos nach dem Turnier verlassen wird, versucht, sich mit einer schwungvollen Armbewegung zu befreien und trifft dabei beinahe Holden. Sitznachbar Matej Stransky mahnt seinen Teamkollegen zur Ruhe. Der Coach hat getan, was getan werden musste: Emotionen entfacht – aber im richtigen Moment. Der HCD gewinnt 5:3 und den Spengler Cup.
Am 24. September 2024 verliert Davos in Langnau 0:7. Nach der Partie steht der HCD-Trainer im Kabinengang ruhig und gesammelt Red und Antwort: keine Ausreden, keine Vorwürfe. Nur die Gelassenheit eines Mannes, der weiss, dass ein missglückter Abend kein Urteil spricht. Tatsächlich gewinnt Davos drei der nächsten vier Spiele.
Der HCD hat den perfekten Coach. Eine emotional etwas besser strukturierte Antwort auf den entfesselten Arno Del Curto der besten Tage. Er wird nach Ablauf seines Vertrages im Frühjahr 2027 der perfekte Bandengeneral für die ZSC Lions sein. Allerdings wird sich der Vertrag dann automatisch um eine weitere Saison bis 2028 verlängern falls Josh Holden mit dem HCD 2027 mindestens den Halbfinal erreicht.
So ansteckend wie verletzlich
Taktisch aber gibt es keinen Vorsprung auf die Konkurrenz. Davos zelebriert einfaches, reines Hockey: Laufen, direkt kombinieren, diszipliniert und konzentriert bleiben, präzise, mutig. Bissiges Forechecking bei gegnerischem Scheibenbesitz und schnelle Auslösungen bei Puckbesitz. Ein Spiel aus Grundformen, ohne Schablone, aber auch ohne spielerische Schneckentänze.
Diese Schlichtheit kostet Kraft. Der HCD spielt mit einer Energie, die zugleich ansteckend und verletzlich ist – wie ein Feuer, das hell lodert, aber jederzeit verlöschen kann, sobald der Wind des Glückes dreht. Manchmal scheint selbst die Mannschaft überrascht, dass sie am Ende doch wieder drei Punkte eingefahren hat. Die Siege kommen – und nicht immer gibt es eine logische Erklärung. Man spielt, man kämpft, man stolpert – und am Ende steht man oben. Verwundert, dankbar, manchmal wohl auch ein wenig ungläubig.
Es ist die Dynamik eines erfolgreichen Teams: Siege gebären Siege, so wie Niederlagen neue Niederlagen zeugen.
Was Titel mit Laub zu tun haben
Ist Davos also Titelfavorit? Nein. Der HCD profitiert auch davon, dass die Titanen – ZSC Lions, Lausanne, Zug, Servette – im Herbst noch nicht oder nicht konstant ihr bestes Hockey zeigen. Meisterschaften werden nicht entschieden, solange noch Laub an den Bäumen hängt. Titel werden gefeiert, wenn neues Laub gewachsen ist.
Aber: Davos kann Meister werden! Die entscheidende Frage lautet: Wird die Energie bleiben und das Spiel im März und April noch so schwungvoll, so dynamisch, so fliessend, so leicht sein wie im September und Oktober? Wird die Euphorie tragen, wenn Müdigkeit kommt, wenn das Glück vielleicht woanders Station macht?
Der Erfolg – er ist kein Zustand. Er ist bei einem so unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage fast wie das Wetter. Heute heiter, morgen trüb, der Wind dreht, das Glück geht – wer weiss. Da mag es zuversichtlich stimmen, dass Davos am meisten Sonnentage aller Orte auf der Alpen-Nordseite zählt.
Die Olympia-Pause vom 1. bis 24. Februar wird zum entscheidenden Faktor. Drei Wochen Zeit, um Batterien zu laden. Zum Atemholen, zum Kräftesammeln. Eine Pause zum rettenden, meisterlichen Atemzug.
Bis dahin aber rollt und rutscht der Puck weiter, das Glück reist mit – und Davos gewinnt. Irgendwie und immer wieder. Die fragile Magie der Siege.
